KI im Programmatic Advertising – ein Gamechanger, Risiken und Chancen inklusive
Künstliche Intelligenz im Programmatic Advertising? Kein Novum. Neuartig sind jedoch die Intensität und das Ausmaß, mit denen diese überaus hilfreiche Technologie gerade das Werbeökosystem transformiert. In Windeseile ‚schlitterte‘ die gesamte digitale Branche, von Publisher bis Advertiser, in die (doch) neue Ära hinein. Gewollt – und bisher erfolgreich. Unsere Experten sprechen über Risiken, Chancen und Zukunftsszenarien.
Digitale Werbelandschaft wächst kontinuierlich weiter und ist bereits jetzt stark KI-geprägt
Bevor wir einen Blick in die von der künstlichen Intelligenz geprägten programmatischen Zukunft wagen, halten wir kurz den Status quo fest. Darum ein paar Zahlen und Fakten vorweg, die eine deutliche Sprache sprechen:
- Laut dem Online-Vermarkterkreis (OVK) im Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) e. V. soll der deutsche Online-Display- und Videowerbemarkt in 2025 um 8,8 Prozent wachsen und auf 6,8 Milliarden Euro steigen. Auffällig sind dabei die programmatischen Umsätze: So erwartet der OVK für das laufende Jahr, dass hier erstmals die 5-Milliarden-Euro-Marke überschritten wird. Diese Entwicklung sei auf den Einsatz von KI und die damit verbundene smarte Datennutzung sowie zunehmend automatisierte Werbeprozesse zurückzuführen.
- Eine aktuelle Umfrage von ExchangeWire und StackAdapt unter Fachleuten aus der Branche (EMEA-Region: Europa, Naher Osten und Afrika) zeigt, dass KI bereits ein entscheidender Treiber der Werbeindustrie ist. So nutzen 85 Prozent der Befragten künstliche Intelligenz als einen festen Bestandteil ihrer Werbestrategie – vor allem, um die Datenanalyse, Zielgruppensegmentierung und somit ihre Werbekampagnen zu optimieren.
Diese transformative, KI-getriebene Reise ist unaufhaltsam. Aber wo bringt der Wind der Veränderung, der sich gerade wie ein Sturm anfühlt, Programmatic Advertising hin? Erst einmal eindeutig vorwärts. Doch wo Chancen sind, sind bekanntlich auch Risiken.
Was sich für die einzelnen Akteure, ob Publisher, Tekkies oder Advertiser, genau verändert – und womit die programmatische Branche in Sachen KI künftig rechnen kann, nehmen wir für euch gerne unter die Lupe. Unsere Experten Frederick Himperich (Geschäftsführer) und Robert Herrmann (Chief Revenue Officer) liefern hier etwas (Lese-)Stoff zum Nachdenken.
Künstliche Intelligenz: Alte Technologie erlebt ihre Neugeburt
‚Woher weht der Wind?‘, fragt sich manch einer, der mit Neugier das allumfassende Eindringen von KI in unser Leben beobachtet. Aus dem amerikanischen Dartmouth der 1950er: Hier posaunte eine Handvoll Wissenschaftler (John McCarthy, Marvin Minsky, Nathaniel Rochester und Claude Shannon) auf einer Konferenz im gleichnamigen College den Begriff ‚künstliche Intelligenz‘ erstmals in die Welt hinaus.
Dieser Begriff kam, um zu bleiben – und revolutionierte als Erstes die Bereiche der Informatik und Mathematik.
Heute, im Jahr 2025, stellt der aufmerksame, interessierte Beobachter fest: Es gibt kaum noch Zweige, die sich dem Einsatz von KI entziehen können. Betroffen – oder besser gesagt involviert – ist auch das gesamte programmatische Ökosystem.
Man sieht: Neu ist nicht gleich neu. Was hinter dem aktuell ‚flächendeckenden‘ Durchbruch der künstlichen Intelligenz steht, weiß Frederick:
„Das liegt daran, dass die Technik zugänglicher geworden ist. Hier spielen Open-Source-Plattformen wie GitHub, die seinerseits eine echte Revolution im KI-Bereich war, und Hugging Face eine bedeutende Rolle. Vor allem auf die Letztere ist der merklich spürbare Rückenwind, den diese Technologie heute erlebt, zurückzuführen. Mit dieser Plattform für AI-Modelle hat die Branche eine entsprechende Infrastruktur für riesige Datenmengen zur Verfügung, entsprechender Rechenkapazität inklusive. Das führte dazu, dass die Preise gesunken sind und die KI-Nutzung geradezu ‚mainstreamig‘ wurde.“
Durch künstliche Intelligenz bekommt das wachsende programmatische Ökosystem Aufwind
Programmatic Advertising setzt künstliche Intelligenz und Machine Learning (ML) bereits seit einigen Jahren ein. „In der Tech-Branche sind Anwendungsbeispiele Traffic Shaping und Floor Price Optimierungen“, so Frederick. „Auch der Bereich Media Buying nutzt die KI-Technologie in vollem Gange, um Werbeplätze zum besten Preis einzukaufen“, sagt Robert.
„Die Martech-Branche, zu der wir dazu zählen, ist ebenfalls keine Ausnahme: Bei Traffective nutzen wir künstliche Intelligenz seit etwa 2022, hauptsächlich für die Softwareentwicklung und Marketing. Und im vergangenen Jahr entwickelten wir ein Contextual-Intelligence-Tool – Article Genius. Diese automatisierte Lösung für kontextuelles Targeting steht unseren Publisher-Partnern zur Verfügung. Mittels AI analysiert das Tool nicht nur Schlagworte, sondern ganze Texte und Videos. So bestimmt es die IAB Kontext Segmente und das Sentiment eines Artikels, damit die Werbung gemäß der Brand Safety Vorgaben ausgespielt werden kann“, erzählt Frederick.
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KI in der Post-Cookie-Ära: ‚Retter in der Not‘?
Einem aufmerksamen Auge entgeht unter Umständen ein interessanter Fakt nicht: Gerade noch – man meint dabei die vergangenen paar Jahre – war die gesamte digitale Branche wegen verschärften Datenschutzbestimmungen ziemlich beunruhigt. Einem Paukenschlag gleich kam die Abschaffung von Third-Party-Cookies hinzu. Prompt kommt die KI-Technologie mit einer enormen Triebkraft zum Einsatz. Scheint so, als wäre künstliche Intelligenz eine Art ‚Retter in der Not‘ …?
„Ja, könnte man meinen. Zumindest öffnet die KI hinsichtlich des Endes von Drittanbieter-Cookies neue Möglichkeiten und hilft, einige der entstandenen Lücken zu schließen. So bringt sie eine neue Dimension in der Datenanalyse mit sich: Ein nun skalierbares Textverständnis erleichtert das sogenannte Custom Targeting“, sagt Frederick und erklärt am Beispiel: „Möchte ein Advertiser ein Werbemittel für Pflanzendünger platzieren, kann er nun gezielt nach dem passenden Kontext suchen. Das geht sehr präzise, bis auf die Artikelebene, was Werbeprozesse maximal ökonomisch macht.“
Risiken und Chancen gehen ‚Hand in Hand‘
Spricht die Branche vom Rücken- und Aufwind, sollte sie im Idealfall auch den ‚Gegenwind‘ mit einkalkulieren. Damit meinen wir gewisse Risiken des KI-Einsatzes. So werden inzwischen kritische Stimmen etwas lauter. Während die einen Erfolge feiern – weil die Technologie in der Tat einige Lücken zu schließen vermag (Stichwort ‚Adressierbarkeitslücke‘) –, bemängeln die anderen lückenhafte Transparenz der KI-Prozesse und -Entscheidungen. Einschlägige Fachpublikationen warnen unter anderem vor KI-basiertem Werbebetrug und stellen ethische Fragen bezüglich der Userdaten-Nutzung in den Raum.
Für Robert ganz klar: „Da, wo KI helfen kann, kann sie auch missbraucht werden. Zwar optimiert künstliche Intelligenz den Bereich Mediaeinkauf in hohem Maße – indem sie Ineffizienzen beseitigt, repetitive Aufgaben automatisiert und Budgets zielführender zu verteilen hilft. Doch auch hier ist mit Risiken zu rechnen.“
Frederick schließt sich an: „Auf den ersten Blick sehen wir weniger Herausforderungen: Eher erfuhr die gesamte programmatische Wertschöpfung eine gewisse Effizienzsteigerung. Agenturen sind produktiver: Sie können ihre Dienstleistung nun mit weniger Aufwand anbieten und so ihre Services – und auch ihre Margen verbessern. Tech-Dienstleister profitieren von der KI bei der Software-Entwicklung und können trotz Fachkräftemangel ihre Produkte weiter ausbauen.“ Doch die Augen vor der ‚Kehrseite der Medaille‘ zu verschließen, fände auch er nicht zielführend.
Hinweis: Mehr zum Thema ‚Künstliche Intelligenz im Mediaeinkauf: Das Pro und Kontra‘ findet ihr in Kürze auf unserem Blog.
„Wer im Sturm zum Gipfel des Erfolges will, muss mit Gegenwind rechnen.“
Passt dieses Zitat des deutschen Schriftstellers Horst Rehmann auf die aktuellen Geschehnisse in der digitalen Werbelandschaft? Gewiss. „Die Kehrseite wäre hier unter anderem die Tatsache, dass sich durch den Einsatz von KI eine Art Bequemlichkeit breitmachen könnte: Man schaltet den Kopf ab. So kann es passieren, dass ich als Publisher Inhalte produziere, die keiner mehr lesen will. Das Gleiche könnte mir auch im IT-Bereich widerfahren – wenn ich alles nur mit KI programmiere und meinen eigenen Einsatz außen vor lasse“, so Frederick.
Als Geschäftsführer eines Martech-Unternehmens stellt er sich hinsichtlich aktueller Entwicklung einige Fragen:
- Noch ist die Branche People-Business – vor allem der Agenturverkauf. Aber was geschieht, wenn viele Leute nicht mehr da sind? Wenn alles nur durch die Hypereffizienz-Brille betrachtet wird, kann viel kaputtgehen – das Zwischenmenschliche und den Wissenstransfer nicht zu vergessen.
- Wer übernimmt die Ausbildung junger Leute – als Nachwuchs für die Branche –, wenn Seniors nur noch mit der Maschine interagieren? Müssen sie sich dann auch nur noch mit ChatGPT begnügen?
- Auf der anderen Seite: Wenn nur noch Amateure mit der Maschine arbeiten – wo bleibt dann die Qualität?
Das sind nur einige wenige Bedenken, die auf einen möglichen ‚Gegenwind‘ hindeuten. Denkt man hier weiter, liegt nahe: „Die Reise geht weg vom People-Business, hin zur Automatisierung, die möglicherweise keiner mehr versteht. So könnte es kommen, dass die Kreativabteilung einer Agentur in drei Jahren nur aus einem Drittel des ursprünglichen Personals besteht. Ebenso in vielen anderen Bereichen“, meint Frederick.
Für ihn geht es ganz klar auch um das Thema ‚Nachvollziehbarkeit von KI-Entscheidungen‘: „Generell betrachtet sind große Sprachmodelle eine Art ‚Black Box‘. Wir wissen beispielsweise heute schon nicht mehr, wie neuronale Netze zu ihren Schlüssen kommen. Das trägt nicht unbedingt zur Transparenz bei. Auf Programmatic Advertising übertragen frage ich mich: Ist es dann noch gut, wenn keiner mehr genau weiß, auf welcher Basis ein- oder verkauft wird?“
Nun ja, es bleibt abzuwarten, jedoch nicht ausruhend. Denn in der Zwischenzeit, während die KI immer mehr Aufgaben übernimmt, könnte sich die gesamte Branche solche Fragen ebenfalls stellen.
Was ist mit Publishern? Fokus weiterhin auf Qualitätsjournalismus und hochwertige Werbeumfelder
Natürlich hat auch Publishing die Qualitäten der KI erkannt und nutzt die Technologie, um den redaktionellen Output zu erhöhen. Denn es heißt, programmatisch gesehen: mehr Output – mehr Input, in Form von digitalen Werbeerlösen. Hier kommt es ebenso darauf an, die neuen Möglichkeiten ‚mit Köpfchen‘ einzusetzen. „Das ist nur möglich, wenn ein erfahrener, ‚guter‘ Redakteur Hand in Hand mit der Maschine arbeitet. So einer wird auch mit KI lesenswerte Artikel verfassen können, indem er einen ‚guten‘ Input und einen möglichst detaillierten Kontext in seinen Prompt eingibt“, weiß Frederick aus eigener Praxis.
Gehen Publisher jedoch unverantwortlich mit der Technologie um, bedeutet es möglicherweise das Aus mit dem Qualitätsjournalismus. Man betrachte beispielsweise die Thematik mit den ‚Made for Advertising‘-Websites: Seiten, die nur zu Werbezwecken erstellt wurden. Ruck, zuck landet so eine Website auf der sogenannten MFA-Blocklist von Drittanbietern – und das war’s dann mit den Werbeerlösen.
Fest steht, dass qualitativ hochwertiges Werbeumfeld nach wie vor die ‚harte Währung‘ eines Publishers bleibt. „Als ein zusätzliches Qualitätsmerkmal kommt hier künftig das Engagement der Zielgruppen hinzu. Denn Werbetragende wollen dort einkaufen, wo das Publikum wach und präsent ist, mit dem Inhalt vielleicht sogar interagiert, wie dies auf YouTube der Fall ist. Darum sollten auch Text-Publisher die Engagement-Rate im Auge behalten und diese beispielsweise mit Bewegtbild- und Multimedia-Content steigern. Damit bekommt das Video-Advertising ebenfalls Rückenwind“, so Frederick.
Zusammengefasst: Sollte es künftig dazu kommen, dass die Stellen in den Redaktionen abgebaut werden, sollten Publisher gleichzeitig in die Qualität der Inhalte – sprich in ein vernünftiges Lektorat von maschinell erstellten Texten – investieren. Ganz nach dem Motto: ‚Effizienzgewinne? Ja, aber nicht auf Kosten der Qualität.‘
Fazit und Ausblick: KI ist ein guter Helfer – wenn sie verantwortungsvollen Einsatz erfährt
Dem Wind des Wandels wird sich – über kurz oder lang – kein Bereich des Programmatic Advertising entziehen können. Vieles wird effizienter und einiges wird anders. Vor allem in der Kreativbranche und im Agenturgeschäft wird sich vieles tun: von der Konzepterstellung bis hin zur Mediengestaltung. Der aufmerksame Beobachter erkennt mühelos heute schon, was morgen zu erwarten ist.
„Es ist denkbar, dass eine automatische Conversion-Optimierung anhand von KI-generierten Bildern möglich sein wird. Das heißt: Die Maschine generiert zehn Varianten und optimiert dann auf Klicks, ohne menschliches Zutun. Auch beim Thema Audience-Generierung wird sicher einiges passieren“, prognostiziert Frederick und wirkt leicht nachdenklich: „Aber können wir heute ausschließen, dass die Agentur durch den KI-Einsatz nicht immer stärker zur Einkaufsmaschine wird und sich eines Tages selbst wegrationalisiert?“
Darum unser Postulat: Menschliche und künstliche Intelligenz respekt- und verantwortungsvoll in einer Symbiose vereinen – das sollte unser aller Idealziel sein.
Etwas mehr Stoff zum Nachdenken: KI und die Sache mit dem Datenschutz
Fraglich bleibt noch eine Sache – die mit dem Datenschutz: „Was ist der eigentliche Auftrag der Datenschutzverordnung? Wollte man das Produkt des Targetings verhindern? Oder wollte man durch die verschärften Maßnahmen verhindern, dass Userprofile erzeugt werden? Was wollte man also verbieten: die Datenprofile oder das Resultat als vorgeschlagenes Produkt?“, denkt Frederick laut nach. „Wenn das Zweite zutrifft, dann ist es nicht die Sache des Datenschutzes, sondern die des (noch) nicht existierenden Schutzes vor Konsum.“
Spinnen wir diesen Gedanken zu Ende, kommt es einem etwas absurd vor: Cookies sind (nahezu) weg. Mit Hilfe von Artificial Intelligence (AI) und ML kommt die Branche schlussendlich zu einem Resultat, das zu 80-90 Prozent mit dem vorherigen Ergebnis übereinstimmt. So bekommen User wieder die Werbung zu sehen, die sie sehen ‚sollten‘. „Wir haben also einen riesigen Aufwand betrieben und Unmengen an Strom verbraucht, um an der Stelle anzukommen, wo wir vorher waren – dafür aber datenschutzkonform. Hat der Datenschutz dann noch ein Ziel? Haben wir dann noch ein Thema mit der DSGVO – oder gehören die CMPs, also Consent Management Plattformen, nun abgeschafft?“
Wer Antworten auf all diese Fragen findet, versteht, worum es eigentlich geht. Die Zeit zum Überlegen haben wir alle (künftig) genug: Die Maschine nimmt uns ja immer mehr Arbeit ab …
Titelbild: Steve Johnson / Unsplash
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